Dieser Artikel ist bereits in der Märzausgabe vom „Jazz Podium“ erschienen.

Kontemplation, Intimität, Intellekt – sicher auch Euphorie und Spaß, aber Rausch? Rausch ist eher kein Wort, das man mit Jazz in Verbindung bringt. Doch wenn die Jazzrausch Bigband im Münchner Technoclub „Harry Klein“ zu guten Beats spielt, dann tanzen sich die Kids vor der Bühne wirklich in einen Rausch. Mit strahlenden Gesichtern und einer Begeisterung, die sie in einem traditionellen Jazzclub wahrscheinlich nicht aufbringen würden. Die 15 MusikerInnen auf der Bühne, in der Mehrzahl Mitte/Ende zwanzig, schaffen es, die Magie von Jazz für ein ganz neues Publikum spürbar zu machen.

Den Namen haben sie aus dem kleinen Club „Rausch & Töchter“ in München mitgenommen. Das „Rausch & Töchter“ hat längst dicht gemacht, die Jazzrausch Bigband legt gerade erst richtig los. Immerhin treten die Musiker dieses Jahr beim Hipster-Festival „SXSW – South by Southwest“ in Austin auf. Sonst eher nicht so der Platz für Jazzbands, aber Roman Sladek, Gründer der Band, hat da eben eigene Vorstellungen: „Grundsätzlich unterscheide ich mich ein bisschen von dem einen oder anderen Jazzmusiker oder Veranstalter, weil ich es nicht als gegeben akzeptiere, dass man damit nicht reich werden oder irgendwann die Olympiahalle vollmachen kann.“

Die Olympiahalle wird es 2019 noch nicht, aber im November tritt die Jazzrausch Bigband mit einem neuen Techno-Programm in der ehrwürdigen Philharmonie in München auf.

Viele feiern die Band dafür, dass sie regelmäßig ausgerechnet in einem Technoclub wie dem „Harry Klein“ oder einem Indieladen wie dem „Cord“ spielt, aber Roman Sladek bleibt da ganz nüchtern: „Eigentlich ist es ja ein total ursprünglicher Schritt, fast schon spießig, mit einer Bigband in ein Tanzlokal zu gehen. Nur dass die Tanzlokale heute halt Techno-Clubs sind.“

Im Gespräch mit ihm merkt man schnell, dass sich da jemand einige Gedanken zur Vermarktung von Musik gemacht hat. Roman Sladek hat nach dem Studium von klassischer und Jazzposaune an der Musikhochschule in München noch einen Master in Kultur- und Musikmanagement drauf gelegt. Und er führt seine Bigband tatsächlich wie eine Firma: „Ich hab die Jazzrausch Bigband früh als Unternehmen begriffen, bei dem ich gewisse unternehmerische Herausforderungen lösen wollte. Zum Beispiel, dass jeder Musiker immer dieselbe Gage für jedes Konzert kriegt und nicht davon abhängig ist, ob es gerade gut oder schlecht läuft. Ich hab ein großes Mischkalkulations-Modell eingeführt und erhöhe die Gagen konsequent immer weiter. Ich will wirtschaftlich zunehmend Verantwortung übernehmen für jeden einzelnen Musiker.“

Roman Sladek © Jazzrausch Bigband

 

Dem wirtschaftlichen Sachverstand und Gespür für Trends steht der musikalische Kopf der Band gegenüber: Leonard Kuhn, Komponist & Arrangeur. Kennengelernt haben die beiden sich schon während des Studiums bei den Sessions im „Rausch & Töchter“. Roman Sladek über die erste Annäherung: „Ich wusste einfach, er hört gern Techno und macht Jazz und ich mach gern Techno und hör Jazz. Wir hatten dann so ein Session-Projekt – „Metronomica“ – da haben wir einfach vor uns hin improvisiert – er am Computer und ich mit Posaune – und gemerkt, dass das ganz geil funktioniert.“

Also fragte er Leonard Kuhn, ob er sich vorstellen könnte, mal ein komplett elektronisches Programm für die Bigband zu schreiben. Der ist erst unsicher, will es aber ausprobieren und so entstehen die ersten Kompositionen, die dann auch auf ihrem 2015 erschienenen Debütalbum „Prague Calling“ zu hören sind.

Elektronisch, groovy, aber gerne auch komplex – mal dicht, mal transparent. Leonard Kuhn nutzt die Power einer Bigband, lässt die Solisten zu Wort kommen und vergisst bei allem nie den Flow, der für ein junges, tanzfreudiges Publikum so wichtig ist. Aber er ist nicht der Einzige, der Stücke für die Jazzrausch Bigband schreibt. Die „Mirror Suite“ stammt zum Beispiel vom Pianisten und Komponisten Christian Elsässer, der bei Stücken wie „Beyond Our Dreams“ die Band zu jungleartigen Breakbeats spielen lässt – spannend und mitreißend. Eine Weiterentwicklung des typischen Bigband-Sounds, der in einem kleinen Jazzclub wie der „Unterfahrt“ genauso gut funktioniert wie auf der großen Bühne.

Der große Vorteil der Jazzrausch Bigband ist, dass die Musiker musikalisch total offen sind. So treten sie gemeinsam mit der bayerischen Rapperin Fiva auf und erschließen sich auf diesem Weg wieder ein komplett neues Publikum. 2018 beim Bardentreffen in Nürnberg sieht man die Band, die sonst komplett schwarz gekleidet ist, mit weißen T-Shirts und roten Blousons auf der Bühne. Sie spielen die HipHop-Tracks von Fiva mit überschäumender Freude, fühlen sich sichtlich wohl in diesem jungen Umfeld mit DJ auf und fröhlich feierndem Publikum vor der Bühne. Roman Sladek: „Von der Kooperation mit Fiva haben wir natürlich gigantisch profitiert durch das, was wir an Erfahrungen sammeln konnten. Das will ich in diesem Jahr wieder stärker forcieren, dass wir neue Künstlerinnen und Künstler treffen.“

Auch das Programm mit der Reggae/Dancehall Künstlerin Sara Lugo war wieder ein Ausprobieren, ein „Neuland entdecken“, neues Publikum finden.

Auftritt beim JZ Jazzfestival in Shanghai © Jazzrausch Bigband

 

Was der Jazzrausch Bigband auf jeden Fall hilft, sind die vielen Kontakte, die der rührige Chef Roman Sladek in den Jahren als Musiker gesammelt hat und die er schlauerweise auch nutzt. Er hat zum Beispiel schon lange einen guten Draht nach China, weil er dort als Posaunist mit Unterhaltungsmusik aufgetreten ist und seitdem das Musikprogramm für eine Eventlocation in der Nähe von Peking macht. Mit diesem Background organisiert er im Herbst 2018 für die Jazzrausch Bigband die „Dancing Wittgenstein China Tour“ mit Konzerten in Shanghai (u.a. beim JZ Festival) und in Peking. „Das ist wie eine große Schullandheim-Fahrt mit so vielen Leuten, die Band lernt sich wahnsinnig intensiv kennen. Natürlich hat man gigantische Konzert-Erlebnisse. Aber viel mehr Erlebnisse hat man hinter der Bühne, im Hotel oder bei Unternehmungen zusammen. Da wächst man als Gruppe zusammen und das hat Aspekte, die sich auch musikalisch auswirken“, freut sich Roman Sladek.„Kann einem keiner mehr nehmen diese drei Wochen, die waren einfach mega.“

Und weil die Auslandsreisen so gut sind für das Bandgefüge, hat die Jazzrausch Bigband auch in diesem Jahr viel vor: Neben dem schon erwähnten Auftritt beim SXSW Festival in den USA sind auch noch Konzerte in Lagos, Nigeria und in Nairobi, Kenia beim Safaricom Festival geplant. „Dann steht China schon wieder auf dem Zettel für 2019. Ich bin gerade an ’ner Japan-Tour dran. Russland vielleicht und in Havanna, Kuba gibt’s auch ein Jazz-Festival. Also viele größere Auslandsreisen, die man natürlich auch immer querfinanzieren muss. Man muss immer schauen, wie macht man das möglich?“ Viel zu organisieren also für den Manager der Band, aber: „Ich habe die Erkenntnis gewonnen, dass sich die bisherigen Auslandsreisen immer positiv auf die Konzerte in Deutschland ausgewirkt haben. Unser Renommee ist gewachsen und wir konnten hier mehr Tickets verkaufen. Außerdem macht die Band immer große Schritte auf den Reisen.“

In einer Bigband spielen logischerweise viele Musiker mit, die auch ihre eigenen Soloprojekte haben. Wie hält man das musikalische Niveau beständig auf einem hohen Niveau und gibt den Mitgliedern trotzdem die Möglichkeit, ihre eigenen Ideen und Projekte zu verfolgen? Im Fall der Jazzrausch Bigband gibt es die Band genau zweimal. Jeder Posten ist doppelt besetzt: „Das sind 30 fixe Musikerinnen und Musiker. Dieses Modell funktioniert bei uns sehr gut. Das liegt aber an der ungeheuren Konzert-Anzahl, die wir haben, weil wir zwei- bis dreimal in der Woche spielen. 2018 waren es 120 Konzerte. Das heißt zwischen A- und B-Besetzung wird nicht unterschieden, jeder spielt mehrmals im Monat.“

Wie es sich für eine so junge Bigband gehört, beherrschen sie auch die Klaviatur von Social Media perfekt und so gibt es nicht nur von der Chinareise, sondern auch von ihrem kleinen USA-Trip ein hübsch bebildertes YouTube-Video. 2017 durften sie nämlich als erste deutsche Bigband überhaupt im New Yorker Lincoln Center auftreten mit Kompositionen wie dem „Moebius Strip“ oder „Punkt und Linie zur Fläche“. „The New York Music Daily“ schrieb danach begeistert: „What was shocking, and gloriously refreshing right from the first hammerhead beats of the kickdrum, was that this band swings …“

Ja, swingen können sie absolut, aber eben neu und mit ganz eigenem Style. Insofern ist es wahrscheinlich nicht erstaunlich, dass gerade die Münchner Clubs, die nicht für Jazzmusik bekannt sind, die Entwicklung der Band erst möglich gemacht haben. Roman Sladek: „Ich habe damals neben dem Harry Klein auch noch hunderttausend andere Clubs und Spielstätten angeschrieben. Damals war die Bigband ja noch relativ unbekannt, deswegen hat kaum jemand geantwortet. Keiner hat da was Innovatives oder Neues drin gesehen, aber der ‚Cord Club‘, der direkt neben dem ‚Harry Klein‘ ist, hat zurückgeschrieben. Und deswegen hatten wir dann zwei neue Spielstätten: Einmal den ‚Cord Club‘ für alles Swing-, Jazz-, Indie-, Rock-Verwandte und das ‚Harry Klein‘, diesen Platz für elektronische Musik.“

Viel passiert ist seitdem und auch 2019 bleibt es spannend für die Jazzrausch Bigband. Welche Kontakte können sie beim „SXSW Festival“ knüpfen? Welche Musiker werden sie in Kenia und Nigeria kennenlernen? Was für Kollaborationen werden entstehen? Wenn er einen Wunsch frei hätte für seine Band, dann würde Roman Sladek jedenfalls gerne mit ein paar Hamburger Jungs auf der Bühne stehen: „Ich würde gern mal was mit Deichkind machen, weil die natürlich völlig absurde Shows haben.“

Das könnte auf jeden Fall sehr gut werden.