Montagabend, der Club ist voll, Jazz scheint doch noch recht lebendig zu sein. Zumindest hier in der Unterfahrt in München.
Auf der Bühne die 18 Musiker des Jazz Orchestra – vor der Bühne Christian Elsässer, Dirigent, Komponist, Großdenker.
Das erste Set ungewöhnlich mellow, fast düster, wie das Pärchen an meinem Tisch bemerkt. Sie haben bei einer Big Band anscheinend was anderes erwartet. Ich freue mich über den Auftakt „Nocturne“ – ein Arrangement wie ein musikalisches Paradoxon – gebremste Wucht, die trotzdem anschiebt. Keine Ahnung, wie das funktioniert. Christian Elsässer hat sein Jazz Orchestra fest im Griff der schmalen Hände und so merkwürdig kompliziert seine Ansagen manchmal sind, so klar ist die musikalische Aussage.
Ich liebe die dichten Klanggebilde von Bigband Sound sowieso und bin an diesem Abend einfach glücklich über die Reibungen und Wellen, die beim Zusammenspiel entstehen. Zum Reinlegen. Der Bläsersatz bei „After The Rain“ erinnert mich kurz an das erste Björk Album und ihren „Anchor Song“ – muss ich dringend mal wieder anhören. Vor der Pause noch eine kleine Verbeugung Richtung Mainstream mit einem Arrangement von „Dancing Queen“.
Den ganzen Abend höre ich sehr gute Soli, eins schickt dann einen kleinen Stromstoß Richtung Publikum und ich bin trotz langem Arbeitstag und später Stunde hellwach: Paul Brändle an der Gitarre mit seinem kauzigen, kantigen Stil. Bemerkenswert.
Dieses Solo ist Teil der „Mirror Suite“ – einem einstündigen Werk, das Christian Elsässer ursprünglich für die Jazzrausch Bigband komponiert hat. Um die 120 Seiten Partitur, in drei Monaten geschrieben. Komplex, mit wiederkehrenden Themen, an einer Achse in der Mitte gespiegelt, nie langweilig – ein Spiegelkabinett mit überraschenden Blickwinkeln und unerwarteten Einsichten. Die Suite verbindet sinfonischen Bigband Klang im Breitwand-Format mit Elementen aktueller Dancemusic. Ein musikalischer Blick nach vorn, aber auch über die Schulter, zurück zu einer Zeit in der ganz selbstverständlich zu Bigband Musik getanzt wurde. Beim Gehen sagt einer: „Also wirklich, ich bin begeistert!“. Same here.
Wie schön, dass es in München Musiker wie Christian Elsässer gibt, die Jazz weiterentwickeln und ohne Nostalgiefimmel leben lassen. Lasst uns dabei sein.
Christian Elsässer Jazz Orchestra am 27.3.2017 in der Unterfahrt, München.
Ich darf mich meiner Vorrednerin (Vortipperin? Vorkommentatorin?) anschließen. Ein ausgesprochen hochwertiger Text. Beim Lesen kommt man sich gleich viel schlauer vor, als man eigentlich ist.
Liebe Laura, halte durch mit dieser Qualität!