Kleines Vorwort meinerseits: Ich liebe die Jazzabteilung im Kaufhaus Ludwig Beck und tauche dort regelmäßig zwischen Neuheiten und Klassikern ab. Man kann da alle CDs Probe hören und dieses Angebot nutze ich oft und gerne! Also wollte ich unbedingt mal den Herren kennenlernen, der für die Jazzabteilung zuständig ist. Vielen Dank für das schöne Gespräch, Thiemo Brüll.
Wer sind Sie und woher kommen Sie?
Mein Name ist Thiemo Brüll, ich leite seit über 15 Jahren die Musikabteilung bei Ludwig Beck. Ich bin auf dem Land aufgewachsen im Westerwaldkreis in einem ganz kleinen Dorf. Nach dem Abitur habe ich zunächst Rechtswissenschaften studiert, habe dann aber was ganz anderes gemacht – zunächst als Quereinsteiger beim Film, um von dort aus endgültig in die Musikbranche zu gehen, wo ich jetzt schon fast 25 Jahre und leidenschaftlich gerne arbeite.
Wie & wann haben Sie sich in Jazz verliebt?
Die erste Jazz-Platte, die es in meinem Leben zu hören gab, war – wie für viele andere Leute auch – Chris Barbers „Ice Cream“. Das war in den frühen 60er Jahren ein Hit, der lief als Single oft bei meinen älteren Geschwistern, die sonst viel Beat und Rock’n’Roll hörten. Die Melodie von „Ice Cream“ ist so einprägsam, die wird man nie mehr los, ähnlich wie „Yellow Submarine“ von den Beatles. Ansonsten bin ich weniger mit Dixieland, aber mit viel Rock der 60er und einer Dosis Mozart aufgewachsen, für die meine Mutter zuständig war. Ernsthaft los mit Jazz ging’s im Alter von 15 Jahren, da hörte ich zum ersten Mal Miles Davis. Damals spielte Miles gerade diesen wilden, elektrischen Sound, der völlig ungewöhnlich klang. Und genau diese Platten von Miles bekam ich von meinem Cousin vorgestellt, der zu der Zeit Jazzmusiker in Frankfurt war. Bald darauf wurde „Live-Evil“ mein erstes selbst gekauftes Jazz-Album.
Haben Sie eine Lieblingsecke in der Jazzabteilung von Ludwig Beck?
Nein, hab ich nicht. Jazz ist eine Musik, die sehr, sehr vielfältig ist. Das kann für mich von Aufnahmen aus den 20ern und frühen 30ern bis zu gutem Jazz der Gegenwart reichen. Insgesamt muss ich sagen, dass mich der moderne Jazz der 50er und 60er Jahre als Jazz Hörer am meisten geprägt hat. Mingus, Coltrane, Ornette Coleman und viele mehr. Pharoah Sanders und Archie Shepp sind zum Beispiel Vorbilder für aktuelle Künstler wie Kamasi Washington, der diesen Sound im Grunde neu für junge Leute aufbereitet. Keine komplette Innovation, aber sehr erfreulich, dass der Geist dieser Musik wieder in einer neuen Generation aufleben darf.
Was mögen Sie an der Jazz-Szene in München?
Es gibt sehr gute Jazzmusiker aus München, mit vielen habe ich auch schon auf der Bühne von Ludwig Beck zusammen gearbeitet. Das geht los mit Münchner Urgesteinen wie Klaus Doldinger bis hin zu Henning Sieverts, ein junger Bassist der vielerorts spielt – überall in Deutschland und auch international. München ist aber vor allem Sitz von wichtigen Jazzlabels. ECM in Gräfelfing – wohl das prominenteste Label vor Ort. Sie feiern im nächsten Jahr ihr 50tes Jubiläum und sind enorm einflussreich international. Aber das würde Siggi Loch jetzt nicht gerne hören, wenn ich hier nur ECM erwähne – wir haben weiter ACT mit ihrem erfolgreichen und weitreichenden Jazz-Repertoire. Seit einigen Jahren sind sie auch in Berlin ansässig. Und das traditionsreiche ENJA Label darf man nicht vergessen…und Winter & Winter mit ihrer schönen, wiederum ganz eigenen Linie! Wenn man es an deutschen Jazz-Labels messen will, ist München eigentlich die Jazz-Metropole in Deutschland.
Was fehlt Ihnen hier?
Das ist keine leichte Frage … ich meine, wir werden es schließlich nicht schaffen, hier New York zu sein. München ist München. Von der Größe des Jazz-Publikums und der Dimension der Stadt gibt’s gewisse Grenzen, innerhalb derer man hier zu leben gewöhnt ist. Und das ist gewiss kein mageres Leben für Jazzfans. Es gibt regelmäßig interessante Konzerte in der Unterfahrt und anderen Konzert-Venues der Stadt, bis hin zu einigen Bars.
Lieblings-Jazzalbum (zur Zeit)?
Wenn’s um Jazz geht, hab ich sehr viele Vorlieben. Aktuell höre ich mal wieder die kompletten „Bitches Brew“ Studio-Aufnahmen von Miles Davis. Vier Stunden Material, das immer wieder fesselt und zeitlos bleibt. Die Doppel-LP zeigte damals nur einen Teil des musikalischen Spektrums, vieles mehr aus den Studio-Sessions ging in noch andere zukunftsweisende Richtungen. Mit diesem Album habe ich tatsächlich am meisten gerungen. Ich fand sie immer kühn und faszinierend, aber lange auch eiskalt. Über den Lauf vieler Jahre habe ich jedoch begonnen, die Adern darin zu spüren, den Puls und die Wärme. Dies ist eine Platte, die bei mir immer wiederkehrt und ein Leben lang entdeckt werden will. Bei den aktuellen Jazz-Alben mag ich als Momentaufnahme vor allem Marcin Wasilewski, Ulrike Haage und den Grenzgänger Jon Hassell hören.
Lieblings-Jazztune (zur Zeit)?
Ich hab’s nie so mit Lieblingstücken oder Lieblingsplatten, denn es gibt einfach zu viel Interessantes. Aber wenn Sie so fragen, es gibt zumindest ein Motiv, das mir gern als erstes in den Sinn kommt: „All Blues“ von Miles Davis. Dieses Stück hat eine solche epische Tiefe. Mit nur wenigen Phrasen wird so viel Emotion, Ruhe und Spannung zugleich beschworen, dass man sich nicht mehr entziehen kann. Diese Melodie, dieses Motiv bleibt für immer eingeritzt. Noch ein Stück, dass ich gerade oft gehört habe: “Guinnevere“ von David Crosby, aber in der Version von Miles Davis. Es ist aus den eben erwähnten Sessions von „Bitches Brew“. Miles hat ungeheuer hypnotische zwanzig Minuten daraus gemacht. Das muss man wirklich hören! Man könnte es auch als einen Vorläufer der Ambient Musik verorten. Kaum jemand war 1970 so seiner Zeit voraus.
Welcher Musiker in München inspiriert Sie?
Es gibt wirklich einige gute Musiker hier. Wenn ich Inspiration einmal nicht als etwas Spontanes und im besten Sinne oft Wechselndes verstehen will, dann muss ich allerdings Manfred Eicher nennen. Als Produzent hat er mit ECM über Jahrzehnte eine eigene musikalische und klangliche Sprache entwickelt, wie sie kein anderes Label so unverwechselbar und kontinuierlich vorweisen kann. Gewiss nicht über so lange Zeit. Selbst die große, klassische Phase des Blue Note Labels mit Francis Wolff und Alfred Lion währte nur etwa halb so lange mit ihrem einmaligen Stil. Beide Labels verbindet auch ein ganz besonderer Einklang von Musik, Produktion und Coverkunst.
Nach welchen Kriterien wird die Jazz-Abteilung bestückt?
Wir versuchen, die ganze Breite des Jazz darzustellen. Wir haben die Klassiker da, wir haben auch sehr Ausgefallenes da. Es gibt bei uns zum Beispiel einen interessanten Schwerpunkt auf improvisierter Musik und Free Jazz. Damit machen wir sicher nicht viel Umsatz, aber es ist toll und auch wichtig, es da zu haben. Kunden, die sich mit dieser Richtung befassen, sind natürlich begeistert, bei uns so was zu finden. Finanzieren kann man das mit den Platten, die sich schneller verkaufen, oft ist das heute Popmusik mit starker Jazz-Schraffur. Unser Ziel ist es ansonsten, von Swing über den Mainstream bis zur Avantgarde alles anzubieten.
Wohin gehen Sie um guten Jazz zu hören?
Nach Hause. *lacht* Ich geh zu meiner Sammlung. Im Grunde hat man gar nicht genug Zeit, die Musik richtig zu würdigen, die sich um einen herum materialisiert hat. Obwohl ich immer sehr selektiv war, fällt es schwer dem Ganzen gerecht zu werden. Oft bedaure ich allein deswegen, nicht zweihundert Jahre alt werden zu können. „Zuhause“ ist mein Rückzugsort, aber ich vermisse es auch, wenn ich länger nicht in Konzerte gehe, um mitten im Geschehen zu sein. Dann gehe ich raus und suche mir ein Konzert aus, das mich möglichst stark packt. Wahrscheinlich würde ich auch öfter ausschwärmen, wenn ich nicht solche kompakten, dichten Arbeitswochen hätte – und wenn wir bei Ludwig Beck nicht selbst eine kleine Bühne betreiben würden. Damit habe ich wirklich große Freude.
Welches Getränk passt am besten zu Jazz?
Wenn ich in Musik eintauche, vergesse ich meistens zu trinken. Für mich gehört das nicht unbedingt zusammen. Aber ok, wenn schon, dann gerne guten Rotwein oder tagsüber einen guten Kaffee.
Wie müsste ein Werbeslogan für Jazz lauten?
Slogans sind eigentlich komisch. Wie ein Schnapsglas, in das ein ganzer Eimer Wasser rein soll. Mir fällt trotzdem eine Art von Slogan ein, den ich mit der Acid Jazz-Phase der 90er in Verbindung bringe. Der hieß „Diggin‘ Deeper“, also „tiefer graben“. Das passte gut als Motto zum Zeitgeist, denn viele DJs dieser Periode waren immer auf der Suche nach kaum bekannten Jazz- oder Soul-Alben und Singles aus der Vergangenheit, aus denen sie dann ihre „Rare Grooves“ zusammenstellten. Das ist bis heute ein aufregender Sport in der jungen DJ-Szene geblieben, was ich auch prima finde. Aber „DigginDeeper“ könnte inzwischen für noch weit mehr stehen als das. In einer überwiegend flacher werdenden Pop- und Komsumwelt verschwindet so viel Komplexeres unter der Oberfläche, wird vom aktuellen Wandel vieler Werte einfach verschluckt. Das betrifft auch die Verbreitung von Hörgewohnheiten. Wenn Sie heute als junger Mensch zum Jazz finden wollen, müssen sie tatsächlich tiefer graben, weil Jazz nicht mehr so präsent ist, wie in früheren Jahrzehnten. Kein Wunder, denn Jazz ist auch nicht unbedingt gefällig, er biedert sich nicht so schnell als Tapete an. Man muss es wollen, ihn zu entdecken. Aber das Graben lohnt sich, so viel Bereicherndes, so viel Emotion offenbart sich dabei – am Ende wird man hoffentlich davon mitgerissen. Und wer sich von da an weitertreiben lässt, der gelangt auch zu völlig neuen Horizonten.
Hi thiemo,
Na deine Musik Abteilung ist ja toll,so groß und vielfältige Auswahl.
Ein toller Arbeitsplatz.
Ich hoffe es geht dir sonst gut und das alles okay ist.
Mach weiter so!
Viele Grüße
Dorothe Pesch