Wer bist Du und woher kommst Du?

Ich bin ein Musiklabel und resultiere aus der Leidenschaft vom Siggi Loch, einem Mann, der viele Jahrzehnte erfolgreich im Musikgeschäft tätig war – eher im Popbereich, aber schon seit frühester Jugend mit dem Jazzvirus infiziert war. Nach dem Ausscheiden aus dem internationalen Plattengeschäft beschloss er, seinen Lebenstraum zu realisieren und sein eigenes, unabhängiges Jazzlabel zu gründen. Das bin ich heute und vor 25 Jahren war meine Geburtsstunde. ACT als Jazzlabel wurde in Hamburg gegründet, später folgte der Umzug nach Feldafing und von dort ging es in die Innenstadt von München. Mittlerweile haben wir auch noch einen Standort in Berlin.

Wie & wann hast Du Dich in Jazz verliebt?

Der Gründer des Labels Siggi Loch war mit 14 Jahren auf einem Konzert von Sidney Bechet und war danach Feuer und Flamme für improvisierte Musik. Das war vor ziemlich genau 63 Jahren…

Was ist Dein Lieblingsprojekt im Moment? Wie würdest Du den Sound beschreiben?

Unser Dauer-Lieblingsprojekt ist „The Sound Of Europe“ – nicht als Antithese zum amerikanischen Jazz, sondern eher als eine starke Weiterentwicklung. Ein Jan Garbarek hat früh gemerkt, dass es keinen Sinn macht, John Coltrane zu kopieren. Der ist Norweger, der hat ganz andere Wurzeln. So ging es auch Nils Landgren oder Esbjörn Svensson. Die ACT-Maxime lautet: „In the Spirit of Jazz“. Dieser „Spirit“ kann die Improvisation sein, oder ein bestimmtes Jazz-Lebensgefühl, eine Haltung, sich mit Freiheit, Harmonik, Komplexität auseinanderzusetzen. Und das ohne Genre-Scheuklappen – von Rock & Pop bis Avantgarde oder Weltmusik.

ACT Family mit Siggi Loch, Andreas Brandis, Michael Gottfried
Vorne Mitte: Labelgründer Siggi Loch

 

Wie magst Du an der Jazz-Szene in München?

Die Szene in München ist sehr familiär und auf eine sehr positive Weise auch gemütlich. Es ist eine überschaubare Szene, man kennt die Protagonisten, die hier eine Rolle spielen und lernt die auch als Externer sehr schnell kennen. Hier gibt es gewachsene Strukturen, eine sehr gute Ausbildung und natürlich auch Geld, von dem man als Künstler leben kann. Besonders positiv finde ich, dass Clubs wie die Unterfahrt mit diesem Geld dann eben nicht nur die absoluten Kassenschlager einladen, sondern auch richtig experimentelle Bands. Die Leute sind hier schon gewohnt, dass Musik nicht nur liefert und sich Dir hingibt. Die können auch mal länger als drei Minuten konzentriert zuhören.

Was fehlt Dir hier?

Was wirklich fehlt ist ein international aufgestelltes Festival! Und ein eingeführter Spielort für den Jazz mit einer 300er – 500er Kapazität, der die Lücke zwischen Unterfahrt und Philharmonie schließt. Außerdem fehlt mir ein Labor, ein Ort, an dem nur entwickelt wird, eckig und sperrig.

Welcher Musiker in München inspiriert Dich?

Sehr inspirierend an dieser Stadt – und das bezieht sich jetzt weniger auf einen Musiker – ist, dass München ein sehr fruchtbarer Boden für verschiedene (Jazz)-Labels ist, die international Karriere gemacht haben. Das ist für eine deutsche Großstadt schon eine Besonderheit. In einer vermeintlich musikalischen Nische sind mehrere Unternehmen gewachsen, die sich über Deutschlands Grenzen hinaus einen exzellenten Ruf erarbeitet haben. Sei es ECM, enja, Winter & Winter oder eben ACT.

Wie findest Du neue Künstler?

Es gibt diesen Begriff der „ACT Family“ und der wird auch sehr stark gelebt. Da haben schon etablierte Künstler uns Newcomer vorgestellt. Durch Nils Landgren sind zum Beispiel verschiedene Musiker zum Label gekommen, insbesondere natürlich der wunderbare Esbjörn Svensson. Natürlich kriegen wir auch klassische Bewerbungen – hier trudeln jeden Tag CDs ein. Es wird viel gehört und viel gelesen. Der dritte Weg geht dann über Festivals und eigenes Erleben und – immer wichtiger – die sozialen Netzwerke.

Wohin gehst Du um guten Jazz zu hören?

Ich denke, es ist einerseits ganz wunderbar, dass der Jazz die Konzerthäuser erobert. Wir haben unser Jubiläum im Konzerthaus Berlin gehabt, was fantastisch war. Wir hatten unser zweites Jubiläumskonzert in der Elbphilharmonie. Allerdings hat auch das ganz nah dran sein was – viele Arten von Jazz funktionieren am besten vor 150-200 Leuten. Jazz lebt oft von den Details und der Nähe zu den Musikern.

Welches Getränk passt am besten zu Jazz?

Das hängt total von der Stimmung und dem Genre ab. Es kann ein Herrengedeck sein, Wasser, Gin Tonic oder auch ein schöner Rotwein. Kommt sehr auf den Spielort an.

 

Cover Bugge Wesseltoft Everybody Loves Angels

Lieblings-Jazzalbum (zur Zeit)?

Die neue Bugge Wesseltoft ist eine absolute Herzensangelegenheit, weil der Künstler eine sehr enge Geschichte mit dem Label hat. Sein Album „It’s Snowing On My Piano“ war vor 20 Jahren ein riesiger Erfolg und ist bis heute das meistverkaufte ACT-Album aller Zeiten. Die neue Platte heißt „Everybody Loves Angels“ und ist wunderschöner Ruhepol in einer sehr lauten Zeit.

Wie müsste ein Werbeslogan für Jazz lauten?

Jazz ist offen, global, tolerant, inspirierend und vielseitig. Jazz ist Freiheit.

 

Ich habe das Interview mit Andreas Brandis (Managing Director) & Michael Gottfried (Kommunikationsmanager) geführt.