Nachdem ich Mitte September einen kleinen Ausflug in die wunderschöne Stadt Wien gemacht habe, gibt es diesmal eine spezielle Wien Edition meiner Interview-Reihe „12 Bars with…“. Ein großes Dankeschön an Andreas Felber für das gute Gespräch!

 

Wer sind Sie und woher kommen Sie?

Mein Name ist Andreas Felber, 49 Jahre alt, von Beruf Jazzredakteur des Kulturradios Ö1 des Österreichischen Rundfunks. Offiziell heißt es: Leiter des Ressorts Jazz, Pop und Weltmusik. Ich komme aus Salzburg, dort bin ich geboren, im Land Salzburg aufgewachsen, aber bin seit knapp 30 Jahren – seit 1991 – in Wien.

Wie & wann haben Sie sich in Jazz verliebt?

Den genauen Zeitpunkt weiß ich nicht, aber ich weiß, wo’s passiert ist. Und zwar im Gymnasium, in der Oberstufe. In Salzburg im Flachgau, also nicht in der Stadt Salzburg. Ich bin dort in ein Oberstufen-Realgymnasium gegangen und unser Klassenvorstand war zugleich unser Musiklehrer und der war auch Jazzmusiker. Der hat uns im Musikunterricht immer wieder Platten vorgespielt von Benny Goodman, George Shearing, Dave Brubeck … und wir durften diese Platten auch ausborgen und mit nach Hause nehmen, was ich gerne getan habe. Mich hat diese Musik einfach fasziniert und ich hab so Feuer gefangen, dass ich dann versucht hab, einige Stücke von Dave Brubeck am Klavier nachzuspielen.

Aus heutiger Sicht ist interessant, dass der Jazz nicht nur für mich, sondern für die ganze Klasse, vor allem für den männlichen Teil auch wichtig wurde zum Selbstverständnis. Wir haben uns über den Jazz auch ein bissl definiert und abgehoben von anderen Gleichaltrigen, die vor allem Pop gehört haben. Das waren die „Kommerzialisten“. Klassik hab ich schon auch sehr gemocht immer, aber das war natürlich elitär, bissl ritualisiert. Volksmusik war sowieso gestrig und der Jazz war halt das einzig Wahre.

Was ist ihr Lieblingsprojekt im Moment und wie würden Sie den Sound beschreiben?

Das ist immer eine schwierige Frage, weil ich da nie ein Ranking erstellen kann, aber ich geh nach dem vor, was am Schnellsten in meinem Hirn aufpoppt. Da fallen mir zwei Dinge ein: Ein internationales Projekt und ein nationales. International hab ich vor kurzem die neue CD von Nubya Garcia vorgestellt in den „Ö1 Spielräumen“, die mir sehr taugt. Wie sie mit gar nicht allzu vielen Tönen eine irrsinnige Kraft generiert und basierend auf dem Coltrane Erbe der 60 Jahre diesen hymnisch-spirituellen Ton wieder anschlägt, aber aktualisiert und nach heute transportiert – die hat mich sehr geflashed. Bei nationalen Acts fällt mir als Erstes ein junger Jazz-Komponist ein, der heißt Ralph Mothwurf, hat in Linz studiert an der Anton Bruckner Privatuniversität und gilt meiner Wahrnehmung nach als einer der kommenden Jazzkomponisten in Österreich. Er verschmilzt Jazzimprovisation und Elemente der zeitgenössischen Komposition sehr organisch miteinander. Er ist in beiden Welten gleich bewandert und weiß sie wirklich gleichberechtigt miteinander zu verschmelzen. Er hat ein 22-köpfiges Orchester, in dem JazzimprovisatorInnen und klassische InterpretInnen sitzen und er versteht es, auf wunderbare Weise den klanglichen Rohstoff des Orchesters, das sehr differenziert besetzt ist – mit Waldhörnern, mit Marimba, mit Vibraphon usw. –  sehr plastisch zu modellieren und diese rhythmisch animierten Gestalten, die da rauskommen unterschiedlichste farbliche Aggregatzustände annehmen zu lassen. Eine musikalische Signatur, die schon jetzt sehr eigenständig ist. Das nächste Konzert – ich erlaube mir, das dazu zu sagen – wird Ralph Mothwurf mit seinem Orchester am 18. Jänner 2021 hier im Funkhaus bestreiten im Rahmen einer Reihe namens „5 Millionen Pesos“ für jungen Jazz in und aus Österreich, die ich kuratiere und er wird dabei auch seine erste CD vorstellen, die in der Reihe „Edition Ö1 Jazz Contemporary“ erscheint.

Dr. Andreas Felber
Dr. Andreas Felber – Ressortleiter für Jazz, Pop & Weltmusik bei Ö1

 

Was mögen Sie an der Jazzszene in Wien?

Dass sie sehr vielgestaltig ist. Dass es vor allem viele junge Musikerinnen und Musiker gibt, die schon erstaunlich früh Ansätze zu einem eigenen konzeptionellen Profil zeigen. Dass es viele junge MusikerInnen gibt, die sich trauen, etwas auszuprobieren. Die ihrer eigenen Vision folgen und spannende, eigene Dinge produzieren. Und zugleich hat der Jazz in Wien auch schon eine lange Tradition. Es gibt spannende Vorväter wie Hans Koller, den Saxophonisten, der in der 1950er, 60er Jahren in Deutschland tätig war. Und in seiner Nachfolge eine ganze Reihe interessanter Musiker. Franz Koglmann ist zum Beispiel so ein Universum für sich. Was Mathias Rüegg mit dem Vienna Art Orchestra gemacht hat, finde ich hochinteressant. Wolfgang Puschnig, der mit wenigen Tönen auch total viel aussagen kann mit seinem bluesigen, kärtnerischen Altsaxophon-Sound. Es gibt aus verschiedensten Generationen sehr spannende Charakter-Köpfe in der Wiener Szene und das alles zusammen … auch die Kontakte, die da bestehen zwischen den unterschiedlichen Generationen, wo recht niederschwellig kommuniziert wird. Das alles sind für mich wichtige Aspekte, warum ich die Wiener Jazzszene spannend finde.

Was fehlt Ihnen hier?

Es fehlt in der Österreichischen Jazzszene, aber natürlich auch in der Wiener, einiges an Infrastruktur, was das Leben leichter machen würde. Was zum Beispiel in der Schweiz oder in Deutschland wesentlich mehr vorhanden ist. Die Jazzszene in Deutschland ist besser und stärker organisiert … hat vielleicht auch damit zu tun, dass Deutschland ein wesentlich größeres Land ist, eine größere Jazzszene hat, aber in Österreich gibt es keine Interessensgemeinschaft für den Jazz. So was wie die UDJ (Anmerkung: Die „Union Deutscher Jazzmusiker“ heißt seit 2019 „Deutsche Jazzunion“) gibt es in Österreich nicht und das wäre gerade jetzt in der Coronazeit wichtig gewesen, weil man da auch gemerkt hat, wie Kulturszene und Bereiche der Wirtschaft, die eine Lobby hinter sich haben, ungleich behandelt werden. Ein Beispiel ist dieses „Radiocafé“, in dem wir sitzen. Als Gastronomiebetrieb kann es mehr oder weniger normal betrieben werden. Wenn man reingeht, muss man gar keine Maske tragen, man kann sich hinsetzen, wo man will, mit wem man will. Seit September wird es auch wieder als Veranstaltungsort genützt – also die Reihe „5 Millionen Pesos“ findet da zum Beispiel statt und dafür gilt im gleichen Raum eine ganze Latte von Vorgaben, von Corona-Restriktionen.

Es dürfen nur eine bestimmte Anzahl von Menschen hier herein und sie müssen alle Maske tragen, wenn sie zum Platz gehen. Vielerlei Dinge, die für Leute, die in den gleichen Raum kommen, aber etwas Essen wollen oder mit jemandem sprechen wollen, nicht gelten. Obwohl das Musikhören ja eine wesentlich passivere und man könnte sagen ungefährlichere Tätigkeit ist.

Also, das ist das was fehlt: eine starke Interessensvertretung. Die hat sich in Wien, in Österreich nie gebildet – warum auch immer – vielleicht ist der Individualismus der Szene-Protagonisten immer zu stark gewesen.

Etwas anderes das fehlt in Österreich ist ein überregional bedeutendes Label. Es gibt in der Schweiz eine ganze Reihe von international bekannten Labels wie „Hat Hut“ oder „Intakt Records“. München ist ja quasi die Jazzlabel Hauptstadt, nicht nur von Deutschland, sondern von Europa kommt mir vor.

In Österreich gibt’s so was nicht. Es gab Labels, die ein bisschen wichtig waren, wie „Amadeo“ oder „PAO“ oder Wolfgang Muthspiel mit „Material Records“, aber nie über eine längere Periode, so dass ein Labelname wirklich zur Marke geworden ist.

Lieblings-Jazzalbum (zur Zeit)?

Ich hab – weil Albert Ayler ja im November 50 Jahre tot sein wird und weil wir diesen Jahrestag in Ö1 mit ein paar Sendungen begehen werden – vor ein paar Tagen die Platte „Spiritual Unity“ des Albert Ayler Trios wieder hervorgekramt, die schon vor ein paar Jahrzehnten meine Einstiegsdroge in die Musik von Albert Ayler war. Aufgenommen 1964, eben Albert Ayler am Saxophon, Gary Peacock Bass, Sunny Murray Schlagzeug. Und dieser sehr melodiöse, fast volkstümliche Freejazz, den er spielt mit diesen langen, gewundenen Geräusch-Klang-Girlanden am Saxophon mit denen er sehr eingängige, fast Kinderlied-artige Melodien spielt, die aber tatsächlich sehr klischee-frei klingen. Zum Beispiel die berühmte Komposition „Ghosts“ die ist auf diesem Album drauf. Das hat mich einfach wieder so geflashed wie beim ersten Mal als ich es gehört habe. Ist eine absolute Lieblingsplatte von mir.

Lieblings-Jazztune (zur Zeit)?

Es gibt natürlich unsagbar viele Lieblings-Jazztunes, aber einer der mir einfällt, ist paradoxerweise „All The Things You Are“. Und zwar in einer Version, die nicht veröffentlicht wurde, sondern die Elias Stemeseder – der in Berlin lebende Salzburger Pianist – bei einem der Konzerte hier im „Radiocafé“ gespielt hat. Zuerst hat er sein Programm gespielt wie geplant und hat mich dann gefragt, ob er noch eine Zugabe spielen soll und was er spielen soll. Ich hab ihn, weil das American Songbook gar nicht vorkam in seinem Programm und ich wissen wollte, was macht er mit so einem abgedroschenen, tausend Mal gehörten Tin Pan Alley-Hit wie „All The Things You Are“ genau den genannt. Elias hat sich an dieses Pianino hier gesetzt und hat aus diesem Stück ein abenteuerliche Re-Komposition gemacht, bei der man am Anfang lange Zeit nicht wusste, was das für ein Tune ist und dann ist langsam mal die Melodie, sind bestimmte Harmonie-Wendungen aufgetaucht, die man kannte und er hat die Komposition und die Akkorde eigentlich als Material-Steinbruch verwendet und daraus das Stück ganz neu zusammen gesetzt. Da bin ich da g’sessen und hab g’sagt: Wow!

ORF Funkhaus, Argentinierstr. 30a
Das ORF Funkhaus in Wien, Argentinierstr. 30a

 

Wo kaufen Sie Ihre Platten?

Ja, es gibt noch Geschäfte in Wien für Platten … wo kauf ich sie? Ich kauf sie natürlich auch im Internet, aber das Plattengeschäft in Wien heißt „EMI Austria“ und befindet sich auf der Kärntner Straße. Dort gibt’s auch eine gut sortierte Jazzabteilung, die ein Kollege von mir leitet – Christian Bakonyi, der auch im Ö1 Jazzredaktionsteam ist und Sendungen moderiert. Das ist eine wichtige Anlaufstelle für Jazzplatten in Wien. Es gibt das sogenannte „Audiocenter“ auf dem Judenplatz – auch in der Wiener Innenstadt… das sind die, die ich ab und zu frequentiere.

Wohin gehen Sie um guten Jazz zu hören?

Es gibt zum Glück eine Reihe von ganz guten Clubs in Wien. Der Wichtigste ist ganz sicher das „Porgy & Bess“ in der Riemergasse. Das ist ein Jazzclub, wo es ihn in Europa nicht allzu viele davon gibt in der Liga … vergleichbar sind vielleicht das „Bimhuis“ in Amsterdam, die „Unterfahrt“ in München oder „Moods“ in Zürich. Das „Porgy & Bess“ ist sehr gut ausgestattet, macht ein sehr spannendes Programm, innovativ ausgerichtet, gute Mischung zwischen internationalen und nationalen Acts. Es gibt Monate, wo man eigentlich fast jeden Abend „un’gschaut“ hingehen kann und man kriegt immer gute Musik geboten. Es gibt eine Reihe von anderen wichtigen Clubs: Das „Jazzland“ ist der älteste Club, den gibt’s seit 1972 und er wird noch immer von Axel Melhardt geleitet. Das ist die konservativere Abteilung, da passieren Mainstream-Jazz, Swing, Traditional Jazz vor allem. Es gibt den „Reigen“ im 14. Bezirk, wo auch viel Blues passiert. Es gibt die kleinen Jazz-Wohnzimmer – das „Miles Smiles“ oder das „Zwe“. Außerdem das „Blue Tomato“ im 15. Bezirk, wo auch viel Innovativeres passiert, wo viel freier Jazz gespielt wird. Der Ken Vandermark zum Beispiel nennt das „Blue Tomato“ seinen Wiener Lieblingsclub – der tritt dort öfter auf.

Welches Getränk passt am besten zu Jazz?

Ich würde mal sagen: Jazz ist eine so vielfältige Musik zu der passt jedes Getränk, sogar ein Soda Zitron … (Anmerkung: trinkt Andreas Felber während des Interviews)

Espresso Pause in Wien

Wie müsste ein Werbeslogan für Jazz lauten?

Werbeslogan? Ich kann mit einem Bild aufwarten, das ich gerne benütze, wenn ich die Vielfalt des Jazz ein bisschen veranschaulichen soll. Also ich beschreibe den Jazz heute als eine Musik, die so vielfältig ist, dass man sie gar nicht mehr auf einen Nenner bringen kann und die ich als einen riesigen Baum beschreiben würde, an dessen langen und vielen Ästen in Form und Farbe ganz unterschiedliche Früchte hängen. So dass man gar nicht vermuten würde, dass die alle irgendwie mit Jazz zusammenhängen. Sie sind aber doch durch die langen Äste alle mit demselben Stamm verbunden und drum glaube ich, dass heute jeder Musikinteressierte / jede Musikinteressierte irgendein Jazz-Genre finden könnte, das ihm oder ihr gefallen würde.

Gibt es auch etwas Positives, was wir aus der Corona-Krise mitnehmen können?

Mir haben einige Musiker gesagt, dass sie – abgesehen vom existenziellen Problem das durch diese Krise entstanden ist – die Zeit oft sehr genossen haben. Sie haben nach langer Zeit wieder viele Abende für sich gehabt und mussten nicht ausrücken zum spielen. Konnten in Ruhe komponieren, üben oder sich anderen Dingen widmen, der Familie, privaten Hobbys… Ich glaub, das ist etwas, was auch MusikerInnen gut getan hat und dieses Moment des „Tempo Rausnehmens“ war aus meiner Sicht eine der angenehmen Seiten der Krise. Wenn man ihm jetzt im Bezug auf die Musik etwas Positives abgewinnen wollte, diesem Virus, dann könnte man anführen, dass viele MusikerInnen in dieser Zeit sehr produktiv waren und sehr kreativ im Umgang damit. Es gibt zwei junge Musiker in Wien – Tobias Vedovelli, Bassist und Mike Tiefenbacher, Pianist, die aus einem in der Coronazeit entwickelten Konzept jetzt kürzlich ein Festival gemacht haben und im Herbst eine CD rausbringen werden. Die haben Kompositionen geschrieben und dann während des Lockdowns auf elektronischem Wege anderen KollegInnen zugeschickt, die jeweils ihre Spuren drübergelegt haben und es sind auf diese Weise Kompositionen entstanden in einer Art und Weise, in der sie sonst nicht entstehen würden. Die Kompositionen, die sie da entwickelt haben, wurden dann demgegenüber gestellt, wie die Stücke in der Liveausführung klingen. Das haben sie beim Festival im Porgy & Bess Anfang September gemacht. Die kreative Energie, die bei manchen sichtbar geworden ist in der Coronazeit, ist sicher als ein Positivum zu sehen.